Das Buch "Erinnerung eines Mädchens" von Annie Ernaux und daneben die Schneemanntasse.

Erinnerung an ein anderes ich – „Erinnerung eines Mädchens“ Annie Ernaux Rezension

Annie Ernaux begründete mit diesem Buch eine neue Erzählweise in der französischen Literatur. Es ist eine biographische Erzählung. Zum Erhalt des Literaturnobelpreises 2022 gibt es eine Wiederveröffentlichung meiner Kirtik.

Obwohl Autorin und Erzählerin kongruent sind, wird die Erinnerung nicht aus der Ich Form erzählt. Nur das Reflektieren der Gegenwart ist ein Ich.  Die Autorin hat eine eigene Distanz erzeugt und reflektiert über die Veränderung zu ihren Eltern und einer traumatischen Erfahrung, welche sie 70 Jahre belastete. Annie Douchesne wächst in einem Dorf in der Normandie als Tochter des Krämers. Sie hat dort eine besondere Stellung, dies wird durch ihre vorzüglichen schulischen Leistungen unterstrichen. Der Fixpunkt der Erinnerung ist der Sommer des Jahres 1958. Sie ist die jüngste Betreuerin in einer Ferienkolonie. Zum ersten Mal von ihren Eltern getrennt, bemerkt sie eine ungewohnte Freiheit, aber auch ihre Unterschiede zu den Anderen, wie sie später von Pierre Bourdieu erforscht wurden. Der eigentliche Grund für das lange Schweigen über den Sommer 1958 ist die Vergewaltigung und emotionale Ausbeutung durch den Chefbetreuer.  Dies ist gefolgt von der Stigmatisierung durch die anderen Betreuer*innen.  

Auf der zweiten Erzählebene berichtet die Autorin über den Prozess dieses Buch zu schreiben und wie es in der Auseinandersetzung mit dem Sommer 1958 half, dieser aber noch immer eine Zäsur darstellt. 

Die Übersetzung von Sonja Finck ist gelungen. Die Erinnerungen werden eindrücklich geschildert und folgen der sprunghaften Struktur von Gedanken.

„Erinnerung eines Mädchens“ von Annie Ernaux muss ich eine eindeutige Leseempfehlung geben. Zum einen zeigt es die Lebensweise im ländlichen Frankreich der 1950er Jahre und zum anderen zeigt es eindrücklich, wie wichtig die eigentlich selbstverständliche sexuelle Selbstbestimmung ist und wie tief die durch deren Verletzung entstandene Wunde ist. Das Buch beschreibt auch das falsche Verhalten von Männern und wie dieses im Bereich der Sexualität reproduziert wird.

Annie Ernaux: Erinnerung eines Mädchens. Suhrkamp Verlag 2018, 167 S. Übersetzung aus dem Französischem durch Sonja Finck.

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