2021 gab es nun endlich wieder eine Frankfurter Buchmesse, die auch vor Ort auf dem Messegelände stattfand. Diesjähriges Gastland war Kanada.
Letztlich war das Gefühl da, wieder nach Hause zu kommen ins geliebte Wohnzimmer. Die mittlere Ebene zwischen den Hallen 3.0 und 3.1 strömte die gleiche Erwartung auf die neuen Buchproduktionen aus wie die Jahre zuvor.

Noch nie war die Halle 3.0 so leer an einem Publikumstag und ich muss sagen, mir hat das gefallen. Es blieb genügend Zeit, sich wirklich mit den Ständen zu beschäftigen. Keine Schlangen von Menschen standen herum, die wegen einer Signierung warteten. Aus guter Tradition ging der erste Weg zum Reclam Verlag. Der Weg war aber ungewohnt, so fehlte ein treuer Wegbegleiter, der Diogenes Verlag. Die 100 Seiten Reihe von Reclam muss sich großer Beliebtheit erfreuen, denn die Reihe wächst weiter an. Erfreulich ist eine Übersetzung des Buchs „The Hunger Games“ ins Lateinische, wobei zu hoffen ist, dass das Buch dann als Schullektüre Verwendung findet und mal eine Abwechslung zu „De bello gallico“ oder „Metamorphoseon“ darstellt. Der Stand war selbst neu aufgeteilt und die Wand der Universal-Bibliothek nahm nicht mehr so viel Raum ein.
Der Papiermangel, der wohl eine reale Bedrohung geworden ist, war an fast jedem Stand ersichtlich, denn viele Bücher blieben eingeschweißt und auch die insgesamte Zahl der ausgestellten Bücher war im Verhältnis zu früheren Jahren gering. Dagegen nahm die Präsenz kleinerer Verlage deutlich zu. Natürlich hatten die großen Verlage auch im Verhältnis große Flächen, waren aber auf Grund der Hygienemaßnahmen zum Teil schwer zu erreichen, wie etwa der Klett-Cotta Verlag.
Eine erfreuliche Entdeckung war der der aus Mecklenburg-Vorpommern stammende Spica Verlag, der einen neuen Fokus auf den leider schon 2020 verstorbenen Reinhard Wosniak setzen möchte. Ziel ist klar eine Oststimme weiter zu erhalten.
Immer wieder präsentieren sich auch die Bundesländer auf der Buchmesse und stellen Bücher und Buchkultur ihres Landes vor. Baden-Württemberg geht einen anderen Weg und überlässt diese Aufgabe der Medien- und Film GmbH Baden-Württemberg, die die Ausstellungsfläche sechs Start-ups aus dem Bundesland überlässt. Diese beschäftigen sich mehr oder weniger mit dem Medium Buch. Vielleicht sind die Verlage aus Baden-Württemberg selbst so prominent auf der Messe vertreten, dass deren Produktionen nicht nochmals gesondert präsentiert werden.
Das Gastland war Kanada und ich muss sagen, sehr enttäuschend. Der Pavillon war fast völlig mit einer Kunstinstallation bedeckt. Die Begrüßung erfolgte durch Margret Atwood auf einem Bildschirm. Um einen Pfad herum standen überschreitbare Projektionsflächen, auf die das Grün von Wäldern und einzelne Flüsse aus Buchstaben projiziert wurden. Dies sollte Berge symbolisieren. In einer Ecke konnte Gesprächen mit Autor*innen auf einer Bühne zugehört werden und zum Ausgang hin war die andere Ecke mit einem Podest und Spiegelfläche bedeckt. Einzig ein Bildschirm, auf dem Interview mit Autor*innen liefen, deutete noch an, dass es um kanadische Bücher ging. Im Raum war kein einziges Buch zu sehen, nur vor dem Eingang konnten Bücher des Gastlands erworben werden. Es bleibt ein völliges Rätsel, welche Bücher aktuell großes Aufsehen in Kanada erzeugen, wie die Verlagslandschaft aussieht oder gar ein kanadisches Buch, denn die zu erwerbenden Bücher waren nur Übersetzungen. Außerhalb des Buchemssengeländes gab es in Frankfurt Veranstaltungen anlässlich des Gastlands. Die nützen nur nichts, wenn die Messe besucht wird. Der Pavillon war ähnlich nichtssagend hinsichtlich des Buchmarktes wie seinerzeit Neuseeland. Island und Frankreich bleiben weiterhin die besten Ausstellungen eines Gastlandes für mich. Die einzige Hoffnung bestand darauf, dass die deutschsprachigen Verlage die kanadischen Bücher in den Fokus rückten, was manchmal der Fall war, aber nicht immer. Eine große Ausnahme war hier der Verlag Culturebooks. Der Verlag rückte zum Beispiel Anar Alis Buch „Nacht der Bestimmung“ in den Mittelpunkt. Daneben waren noch andere kanadische Bücher zu finden.
Die Augen mussten aber immer wieder nach Büchern des Gastlandes suchen. Hingegen leicht waren die Bücher zu erblicken, welche sich irgendwie populärwissenschaftlich mit der Thematik „Gender“ beschäftigten. Viel zu viele sahen darin eine gesellschaftliche Gefahr, alle sind sie von Personen geschrieben, die weder Ahnung von der Thematik haben noch selbst hinsichtlich ihres Geschlechts Erfahrung daraus schöpfen könnten. Liebe Verlage, überlasst das bitte Menschen, die sich damit auskennen!
Die für mich größte Entdeckung bei KiWi waren die Tagebücher Che Guevaras, wobei ich mir nicht sicher bin, ob es Tagebücher einer hohen literarischen Qualität sind. Erstmalig konnte ich auf der Messe in Nicole Seiferts „Frauen Literatur“ lesen. Für das Lesen blieb wenig Zeit, da nur wenige Menschen auf den Stand durften und ich nicht für lange Schlangen sorgen wollte.
Ein interessantes Projekt ist eine öffentliche Onlinekarte mit den Orten der Verbrannten Bücher. Dort werden die Orte gesammelt und dokumentiert, an denen von Nazis 1933 Bücher verbrannt wurden. Dabei werden zusätzlich die Orte in ihrem aktuellen Zustand fotografiert. So soll beispielsweise jetzt auch nochmal eine neue Überprüfung geben, ob nicht doch auch in Freiburg im Breisgau Bücher verbrannt wurden und ob das auf dem heutigen Platz der Weißen Rose geschah.
Leider muss ich an dieser Stelle auch zu anderen Nazis kommen, nämlich denen, die auf der Buchmesse mit Verlagen vertreten waren in der Halle 3.1. Deren Stand sah ich nur aus der Ferne und zumindest zu dem Zeitpunkt als ich da war mit keinem Publikumsverkehr. Trotzdem haben diese den Ablauf der Buchmesse massiv gestört, indem Sie Autor*innen in den Boykott trieben.
Eine vertane Chance sehe ich bei den vielen Jugendbüchern mit englischen Titeln, etwa beim Oetinger Verlag. Die Bücher haben zwar einen englischen Titel, sind aber alle in deutscher Sprache. Es ist schade, dass sie nicht auf Englisch sind. Damit gäbe es eine gute Möglichkeit Jugendbücher niedrigschwelliger auf Englisch anzubieten, immerhin sehen Jugendliche auch Serien und Filme über Streamingplattformen auf Englisch.

Die interessantesten großen Verlage waren für mich dieses Jahr auf der Messe Suhrkamp und Hanser. Dort präsentierten sich für mich die mit Abstand spannendsten Bücher des Herbstes, wenn ich nach der Verlagsgröße gehen möchte. Diese waren „2001“ von Angela Lehner, „Scheintod“ von Eva Demski, „Oper für alle. Die Biografie von Sir Peter Jonas“ von Julia Glesner und „Verkannte Lestungsträger:innen“ Herausgegeben von Nicole Mayer-Ahuja und Oliver Nachtwey.
Eine Frage bleibt für mich offen. Hatte die Messe Probleme Austeller*innen zu finden? Das letzte Drittel der Halle 3.0 war fast gänzlich gefüllt mit Geschenkartikeln und ähnlichem. Ja, ein Teil an Geschenkartikeln gehört zum modernen Buchhandel dazu, die Ausmaße überstiegen aber meine Vorstellungen. Gleichzeitig waren dort Stände, die nur schwer ihren Bezug zur Buch- und Druckkultur darbieten konnten, so war da ein Vertreter von Lederwaren. Das Hauptaugenmerk lag aber eindeutig auf Handtaschen und nicht auf Leder für Bucheinbände.
Die Frankfurter Buchmesse 2021 ist für mich ein schöner Neuanfang und ein Erfolg. Leider fehlten dort Verlage, die ich schmerzlich vermisste. Zusätzlich vermisste ich ein Angebot zu eBooks, die ja im gerade anhaltenden Papiermangel gute Möglichkeiten sind, Bücher in das Publikum zu bringen und nicht zu hoffen, dass das Weihnachtsgeschäft schon im Oktober und vielleicht noch November läuft.